Dr. Klaus-Peter Decker, hat die wechselvolle Geschichte des Rathausstuhles für uns niedergeschrieben:
Wilfried Klaus, 1946 geb., Bildhauer und Töpfer aus Ober-Mockstadt, war durch seine Aktion „Documenta-Feuer“ im Sommer 1982 auch in Büdingen bekannt geworden. Über die Laufzeit der 7. Documenta in Kassel, 102 Tage lang, sollte jeden Tag eine Skulptur aus einer Bahnschwelle entstehen und sich schließlich zu einem großen Kreis zusammenfügen, 102 Tage/Nächte lang sollte auch ein Feuer am Brennen gehalten werden. Die Aktion bekam volksfestartige Charakter, die Zahl der abendlichen Gäste auf der Wiese mit alten Apfelbäumen und einem immer wohlgefüllten Apfelweinfass wuchs ständig. Höhepunkt und Abschluss wurde eine Fahrt von W. Klaus, seinen Helfern und Fans, an die 70 Personen, mit zwei Sonderwagen der Bahn und mitgeschleppten Bahnschwellen, einem Sandsteinblock, 102 symbolischen Stangen und 102 rohen Eiern, die gebraten werden sollten, am 12. Sept. 82 nach Kassel, wo die Aktion in der Karlsaue auf staunendes Interesse stieß.
Im folgenden Jahr 1983 wollte Klaus dann eine weitere Idee verwirklichen, wieder mit seinem besonderen Material als Markenzeichen, Bahnschwellen aus Buchenholz, damals noch in Mengen zu haben, da sie Beton weichen mussten. Ihm schwebten nach dem Vorbild der Apostel 12 überdimensionierte Rathausstühle vor, in 12 hessischen Städten, die schließlich in einer großen Aktion irgendwo einmal zusammen geführt werden sollen. Der erste Rathausstuhl sollte in Büdingen entstehen, auch weil Klaus hier eine Reihe Unterstützern im neugegründeten Kulturkreis hatte. Unter dem Motto „Kunst und Leben“, dem Zusammenklag von Alltag und künstlerischer Schöpfung, sollte auf dem Marktplatz gearbeitet und das Objekt im Prozess des Entstehens erlebt werden. In der damals vom Kulturkreis betriebenen „Galerie am Markt“ zeigte Klaus gleichzeitig in einem zauberhaft verfremdeten Ambiente aus weißem Papier Töpferkunst und fand dort auch während der Arbeitswochen mit seiner (leider früh verstorbenen) Frau und künstlerischen Begleiterin Rosemarie einen temporären Lebensraum. Und nun vollzog sich hier im Rahmen des „Büdinger Sommers“ des Kulturkreises etwas, was es so in Büdingen nie mehr gegeben hat: während Klaus an seinen Schwellen arbeitete, kam in den lauen Abendstunden von der Eröffnung am 1. Juli 83 an ein wachsender Kreis auf dem Marktplatz zusammen, Altstädter beiderlei Geschlechts und jeden Alters, darunter die legendäre Margret, die ihre Wohnung oberhalb der damals dort noch vorhandenen öffentlichen Toiletten hatte und vom Fenster ihre Kommentare abgab, Kulturkreisler, Kunstinteressierte, Touristen, Türken, einige Lokalpolitiker, es wurde diskutiert, musiziert (Olaf Nuschke mit Geige oder Banjo, ein Bub der Familie Tylmann mit Geige und andere) Apfelwein getrunken und viel gelacht. Für einige endete der Abend dann öfters Im „Bermuda-Dreieck“, der Pinte von Mechthild gegenüber, dem „Weinstübchen“ im Schwan und dem damals noch so genannten „Bierbrunnen“ (Kajüte). Bei alldem hat W. Klaus wacker gebeilt und geschnitzt. Er hat alle Details nicht ganz geschafft, aber zum Abschluss am 10. Juli stand der Stuhl und wurde, begleitet vom Fernsehen, vom 1. Stadtrat Gerlach als Vertreter des im Urlaub befindlichen Bürgermeister Bauner zusammen mit Klaus „besessen“. Nach dem heiter-geselligen folgte nun der weniger nette politische Teil. Denn der etwas blauäugige Künstler hatte aus den ermunternden Äußerungen der Büdinger Politiker heraushören wollen, daß die Stadt den Stuhl ankaufen oder zumindest seine Arbeit honorieren werde. Die aber zog sich darauf zurück, daß ihr Engagement mit einem Zuschuss von 1500 DM (aus Fördermitteln) im Rahmen des „Büdinger Sommers“ abgegolten sei. Zu Forderungen darüber hinaus solle sich Klaus, bitte schön, an den Kulturkreis wenden. Ja Klaus wurde bald in sehr ruppiger Form aufgefordert, das „Monstrum“ vom Marktplatz zu entfernen, begleitet von recht hämischem Presse-Echo („Das hölzerne Monstrum ist weg!“ so Rüdiger Hartmann im KA vom 11.8.83) Der völlig verschnupfte Klaus hat den Stuhl abgebaut und bei sich eingelagert. Der Kulturkreis bemühte sich in der Folge unter Federführung der neuen Vorsitzenden, Carla Kleinau, mit der Stadt zu einem Ergebnis zu kommen, zunächst aber vergeblich, ich zitiere aus einem Schreiben Bauners vom 10.2.1986: „Wir sind nach wie vor bereit, für einen Ankauf des „Rathausstuhles“ .. 1500,– DM zur Verfügung zu stellen mit der Maßgabe, daß der Kulturkreis für die weitere Finanzierung in Höhe der Differenz zu dem Betrag, den Herr Klaus erwartet, Sorge trägt“. Schließlich kam es aber doch noch zu einem versöhnlichen Ende. Nachdem der Oberhof saniert worden war, wurde im neuen „Kulturzentrum“ ein passender Platz gefunden, der Stuhl plötzlich als Attraktion wiederentdeckt und nach neun Jahren tatsächlich von der Stadt gekauft. Im Rahmen des von Bücherei-Leiter Thomas Kremer initiierten „Oberhof-Open“ Festivals wurde der Rathausstuhl im August 1992 mit einem großen Fest eingeweiht. Die ehemaligen Kontrahenten Bauner und Klaus thronten gemeinsam auf dem Stuhl , der schließlich noch rekordwürdig etwa zwei Dutzend weiteren mutigen Erklimmern Platz bot. Nach der Melodie „Kein schöner Land..“ intonierte eine Blus Band das Lied: „Kein schönrer Stuhl in unsrer Stadt/als der den Klaus geschnitzet hat/unter der Ma-gi-no/li-e – sonst nirgendwo/er stehen soll“ usw. Ja Bürgermeister Bauner regte sogar wieder 11 weitere Stühle an, „für jede Gemeinde im Altkreis Büdingen einer“.